Carambole

von Jens Steiner

Ein Dorf, irgendwo in der Schweiz. Mit einer Fabrik, einer Beiz, dem Dorfladen, der Molkerei, die bald schliessen wird, einer Autogarage und einem leer stehenden Bauernhof. Es gibt Villen und arme Familien, Frauen kommen vor, denen der Schlag das Gesicht verzerrt hat und andere, die an ihren Töchtern irrewerden. Es gibt den Vagabunden und den Säufer, man lernt die Troika der alten Männer kennen, die noch gar nicht so alt sind und drei Buben, die gelangweilt unter einem Kirschbaum liegen. Und über alles hat sich eine träge, hochsommerliche Hitze gelegt.

Die Dorfbewohner scheinen in einer zähflüssigen Masse zu stecken, sie treten an Ort und alle warten sie darauf, dass endlich etwas passiert.

Ein Dorfreigen.

Jeder erzählt aus seiner Perspektive und mit jeder Episode fügen sich weitere Puzzlesteine zueinander, ohne je ein vollständiges Bild zu zeigen.

Der Leser läuft mit den Protagonisten durch das Dorf, schaut durch Fenster und Türen hinein in die Häuser und betritt die Leben der Anderen, während die Anderen da sitzen und den Protagonisten zuschauen, wie sie durch das Dorf gehen und sie beobachten.

Jeder sieht Jeden und keiner kennt niemanden.

Dann endlich setzt sich mit lautem Getöse das Aussergewöhnliche in Szene. Und jeder sieht es mit eigenen Augen.

Und weil jedes Ding seine Wirkung hat, geschieht noch etwas: der Dorfvagabund stirbt.

Jens Steiner zeichnet seine Figuren mit liebevollen Strichen, schildert ihre Schwierigkeiten, Leiden und Leidenschaften. Dreh- und Angelpunkt des Karussells ist der grosse Knall. Durch alles aber, zieht sich ein leuchtendes Band: die Freundschaft. Sie ist es, die in der zähen Masse des Alltags Raum zum Atmen schafft.   

Für mich ein ganz wunderbares Buch, das verdienterweise 2013 den Schweizer Buchpreis gewonnen hat. Gerne bin ich auf dem Karussell durch das fremde, ach so vertraute Dorfkaleidoskop geritten!

Jens Schneider, Carambole, Verlag Doerlemann, 2013
ISBN: 3-908777-92-5