Am Hang

Ich habe mir den Film „Am Hang“ von Markus Imboden angeschaut – und fand ihn grottenschlecht. Gleich zu Beginn wird Väterchen Zufall arg in Anspruch genommen, als der Lebensretter sich später per äxgüsi an den Tisch des eben gerade vor dem Suizid Geretteten setzt. Das Verhalten der Figuren ist psychologisch nicht nachvollziehbar, die Ehefrau, respektive Geliebte, um die sich im Film alles dreht, wirkt flach und ihre Handlungen unmotiviert, der junge Anwalt wird auf seinen Don Juanismus reduziert und der alte Ehemann ist ruppig und säuft zu schnell und zu viel.

Ich kann noch böser: man nehme einen Weltbestseller-Roman, zwei herausragende Schauspieler (Henry Hübchen und Martina Gedeck), destilliere Werners komplexen Roman auf das Gebalz zweier Männer um eine Frau (Sex sells), würze die ganze Sache mit ein wenig Thriller (das russisch-Roulette – Spiel!), lasse es mächtig gewittern, spüle alles mit viel Alkohol – und fertig ist der weichgespülte Mix.

Kaum zuhause, begann ich Werners Roman zu lesen, den ich vor Jahren, bei seinem Erscheinen gelesen und der mir damals gut gefallen hatte. (Es kann ja nicht sein, dass dieser Roman so schlecht ist!)

Ich habe den Roman in zwei Zügen durchgelesen und war beruhigt: der Roman ist gut. Ja, er ist um Welten besser als der Film. Fast alles, was Imboden im Film geändert oder ergänzt hat, wirkt schal, psychologisch unmotiviert und macht die Story und ihre Figuren fad. Im Buch gibt es keinen Selbstmörder, kein russisch-Roulette und der Don Juan hat ziemlich viel Grips. Erst ab Mitte des Buches geht es überhaupt um die Frau und Geliebte, vorher stehen ganz andere Themen im Vordergrund: es stehen zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Welt und die Menschen zur Diskussion, die pessimistische und die optimistische. Auf der einen Seite der jugendliche Geniesser und Hedonist, der sich nimmt, was ihm gefällt und gut tut, auf der anderen Seite der ältere Humanist, dem der Weltenlauf zuwider ist, mit seiner Verrohung der Sitten, der krankmachenden Beschleunigung, der kapitalistischen Gier, der Hohlheit unserer Konsumgesellschaft. Auch im Buch wird getrunken – aber moderater, es wird gestritten, aber auf hohem intellektuellem Niveau, dafür wird geraucht, was man im Film der politischen Correctness geopfert hat.

Der Plot, der im Film schon ganz früh verraten wird, nämlich als dem hintersten und letzten Zuschauer klar geworden ist, dass Martina Gedeck sowohl die Ehefrau wie auch die Geliebte spielt, wird im Buch ganz am Schluss bloss angedeutet, bleibt mehr Ahnung als Gewissheit. Erzählt wird das Buch aus der Perspektive des jungen Anwalts und als er realisiert, dass der Ältere ihn von Beginn weg getäuscht hat, zerbröseln dessen Geschichten und Philosophien, werden zerrieben von der Verwirrung um Wahrheit und Täuschung. Es ist als würden die beiden Protagonisten ein Buch lang gemeinsam ein Mandala aufbauen, das dann – schwupp – auf den letzten Seiten zerstäubt und davon weht. Übrig bleiben mehr Fragen als Antworten, mehr Unklarheit als Klarheit und weniger Dogma als viel mehr Ungewissheit. 

Markus Werner, Am Hang, S.Fischer, 2004, ISBN 3-10-091066-4

Am Hang, Markus Imboden, Deutschland/Italien/Schweiz, 91 Min., 2013